Electric Wonderland

4) Der erste echte Urlaubstag in Seoul führte uns in ein Elektronik-Wunderland am anderen Ende der Stadt. Vielleicht war es gar nicht so weit, aber wir mussten mit der supermodernen U-Bahn fahren. Der Bahnhof lag unter einer großen Straßenkreuzung vor unserem Haus. Wie am Münchener Stachus befand sich dort eine unterirdische Ladenpassage. Es gab unzählige kleine Läden, die gebrauchte Bücher, Schallplatten, Bilder, Schuhe oder Wolle und Kurzwaren verkauften. Am liebsten hätte ich dort schon einen ganzen Tag verbracht. Ganz erstaunlich fand ich eine lange Reihe Kartons mit der deutschen Aufschrift „Büchersendung“ vor einem Antiquariat. Mitten in Seoul. Oder ein Kunstwerk in Gestalt einer Bronzestatue dekoriert vor einem kleinen Laden. Es war eine nackte Frauengestalt mit wallendem Haar und spitzen Brüsten, die mit gespreizten Beinen über einer Toilettenschüssel hockte. In Bronze! So etwas interessierte meine Männer alles nicht und wir eilten weiter. Seoul ist eine riesige Stadt, die wächst und wächst. Überall entstehen neue Wolkenkratzer und mehrspurige Strassen. Wirtschaftswunderzeit in Südostasien. Wir verlassen die U-Bahn und landen in einer Baustelle. Ein Sumpf wird trocken gelegt für neue Hochhäuser. Eine Röhre auf Stelzen führt uns über das Gelände und wir sind am Ziel. Das Elektro-Land ist nicht wie bei uns ein großes Geschäft wie z.B. Saturn oder Media-Markt, sondern eine Ansammlung von kleinen Marktständen in einer großen Halle. Ein jeder bietet anderes feil. Beliebt sind Massagesessel und Massagegeräte für einzelne Körperteile, z.B. elektrische Manschetten für die Waden oder futuristische Masken für die Augenpartie. An jeder Ecke gibt es Dampfgarer und Reiskocher, die aussehen, wie kleine Raumschiffe, dekoriert mit Speisen aus Plastik. Toilettensitze mit Heizung und Bidet-Funktion dürfen nicht fehlen und natürlich die modernsten Unterhaltungs-Medien, die man sich vorstellen kann. Wir suchen ein Tablet für Jan. Im ersten Kaufhaus finden wir nicht das richtige und wechseln das Gebäude. Auch draussen viele kleine Läden, die Baumarkt-Artikel aller Art verkaufen und im nächsten Hochhaus noch mehr Elektronik. Zubehörteile für Bastler, alte Radios, Plattenspieler und je weiter wir nach oben fahren, desto größer werden die Fernseher. Hier schlagen wir zu und feilschen erfolgreich mit dem Händler.

Am Abend hat Jan eine Überraschung für uns vorbereitet. Wir gehen essen in ein typisch Koreanisches Grillrestaurant und lernen Jans Freunde kennen. In dem kleinen Lokal ist in jeden Tisch eine Feuerstelle eingelassen und ein Rauchabzug lässt sich über den Tisch hinab ziehen. Man bestellt rohes Fleisch von der Karte und bekommt dazu diverse „Pickles“. Immer dabei ist Kimchi, eine Art scharfer Krautsalat. Dann wird am Tisch gegrillt. Jans Freunde sind sehr nett und sehr international. Auf den ersten Blick fast alles Koreaner, doch das täuscht. Viele haben ein Elternteil aus Asien, sind aber in Deutschland aufgewachsen und sprechen mit überraschend fränkischem, rheinischen oder Hamburger Akzent. Die meisten sind Arbeitskollegen oder spielen mit Jan im FC-Doghil, einer Mannschaft aus lauter Deutschen. Das Lokal befindet sich in Itaewon, was sich durch die amerikanischen Soldaten zum Ausgehviertel entwickelt hat. Nach dem geselligen Essen gehen wir noch in ein Pub und trinken Cocktails. Die anwesenden US-Soldaten werden gegen Mitternacht von einer Patrouille eingesammelt und unsere Gruppe muss auch langsam ins Bett.

Am nächsten Tag müssen wir nämlich schon sehr früh aufstehen, weil wir uns für eine Tour zur Grenze nach Nordkorea angemeldet haben. Da müssen wir pünktlich sein…
figur

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