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Im Badehaus

Nach dem anstrengenden Herbst 2015 brauchte ich dringend etwas Ruhe und Erholung. Nordsee in der Nachsaison erschien mir verlockend und so fuhr ich in unser bewährtes Appartementhaus „Kaiserhof“. Auf Norderney ist es im Januar wirklich sehr ruhig. Viele Lokale und Geschäfte machen Betriebsferien und leider war auch das Schwimmbad unten im Haus geschlossen. Aber ich wollte sowieso einmal ins „Badehaus“ gehen. Von der tollen Saunalandschaft hatten mit schon einige vorgeschwärmt. Der Besuch kostete mich 27,-€ für 4 Std. Ziemlich teuer, doch bereut habe ich keinen Cent! Erst einmal lief ich überall herum, um alles anzuschauen. Im Warmbade-Teil lungerten ein paar Rentner in den Becken herum, es war wenig los. Durch eine Tür gelangte ich ins Familienbad. Und da war überhaupt niemand. Eine ganze große Schwimmhalle ohne eine Menschenseele! Und was für eine tolle Schwimmhalle! Ganz modern, trotzdem nicht kahl. Viel Naturstein und Holztribünen mit großen, bunten Lümmelkissen. Strandkörbe vor den hohen Fenstern und der Blick nach draussen in den Dünengarten. Das Wasser im Becken spiegelglatt. Staunend schlendere ich um das Becken herum und bewundere die Details. Plötzlich schwallt neben mir ein Wasserfall von der Decke. Ich gehe weiter, da sprudelt neben mir eine Fontäne aus dem Boden! Nanu, ist hier ein Bewegungsmelder? Noch ein paar Meter – wieder ein Wasserfall! Als ich das Becken ungefähr zur Hälfte umrundet habe, spritzen auf einmal zwei große, dicke Düsen einen Wasserstrahl in hohem Bogen über das Becken. Verwirrte schlendere ich weiter, kann mich nicht entschließen, zu verweilen. Zu hübsch ist die künstliche Grotte an der nächsten Ecke, die von innen heraus mit kleinen Spiegelplättchen funkelt. Ich schaue hinein und in dem Moment prasselt drinnen eine dicke Brause los. Ist ja irre! Mit offenem Mund beende ich die Runde, als ein junger Bademeister erscheint. Er ist klein und stämmig, trägt ein rotes Baywatch-Outfit und eine blonde Prinz-Eisenherz Frisur. Mit ausladender Armbewegung deutet er auf das Becken und ruft: Schauen Sie mal, alles für Sie ganz alleine! Wow! nicke ich beeindruckt. Ist wirklich toll hier! Ja, sagt der Bademeister, ich habe extra für Sie alles angeschaltet, damit Sie es mal sehen können. (Also doch kein Bewegungsmelder!) Dann erklärt er mir stolz alle Finessen der Badelandschaft und wir unterhalten uns etwas. Leider bin ich noch nicht geduscht und habe noch keinen Badeanzug an, daher muss ich noch einmal zurück. Auf dem Weg zur Tür fällt mein Blick auf eine Nische hinter dem Bademeister-Häuschen mit der Aufschrift „Trost-Ecke“. Ich bin immer noch traurig, über den Tod meines Vaters. Einen Moment lang überlege ich, noch einmal beim Bademeister zu klopfen. Ich stelle mir vor, wie er rauskommt und ich frage, ob er mich trösten kann. Klar doch, sagt er und fängt an, die „Trost-Ecke“ von dutzenden Schwimmflügeln und Schwimmringen frei zu räumen. Ich setze mich in meinem rosa Bademantel auf die Bank unter dem aufgemalten Teddy und der Bademeister sagt so etwas wie „Schhh, schhh, schhhh. Nicht weinen! Sie sind doch jetzt hier bei uns. Kopf hoch! Gleich gehen Sie erstmal auf die Rutsche. Die ist was Besonderes! Die ist nämlich von innen beleuchtet mit Spezial-Effekten. Und dann -das müssen Sie unbedingt- gehen Sie ins „Feuerbad“. Das Wasser ist sehr heiß, 42° und das Becken ist oben offen. Danach geht es Ihnen besser. Bestimmt. Der Weichzeichner rund um mein Gedankenbild löst sich auf und ich gehe duschen. Zuerst teste ich die „Waschstrasse“: Kalter Wasserfall, warmer Wasserfall, Fontäne von unten, Regendusche von oben und zum Schluß noch einen Guß aus einem Eimer unter der Decke. Noch einen. Uuund noch einen! Kein Icebucket dabei, Glück gehabt. Dann auf die Rutsche mit den psychedelischen Lichtspielen. Und dann in die Spiegelgrotte, wo ich mich von der dicken Dusche in der Mitte massieren lasse – Aaaahh, Ohhh, fühle ich mich gleich wie eine Badeprinzessin! Dann schwimme ich noch etwas herum. Inzwischen sind noch ein paar Badegäste gekommen. Da ertönt ein Horn. Tuuuut! Was soll das bedeuten? Noch einmal: Tuuuut! Ich drehe den Kopf und da erst bemerke ich hinter mir die großen Schleusen. Wellenbad! Und schon beginnt das Becken zu schaukeln. Die Anlage kann was! Im salzigen Wasser fühle ich mich jetzt wirklich, wie im Meer. Herrlich! Als die Wellen versiegen, verlasse ich das „Familienbad“ und gehe wieder zu den Rentnern. Das „Feuerbad“ wartet. Hinter der Tür im kleinen Becken ist niemand. Eine riesige Open-Air Badewanne nur für mich! 42° heißes Wasser bei 5° kalter Luft ist schon eine Wohltat. Ich bin umgeben von 10 Meter hohen Wänden und habe das Gefühl, in einen tiefen Brunnen mit heissem Wasser gefallen zu sein. Der Bademeister hat nicht zuviel versprochen. Es ist wunderschön. Auch in der Sauna auf der Dachterasse bin ich wieder die Einzige. Die Stunden vergehen schnell.

Als mein Freund am Abend mit der Fähre kommt, freue ich mich richtig, nicht mehr alleine zu sein.

Fussball fern der Heimat

Mein Freund ist ein großer Fussballfan. Er hat sogar eine Dauerkarte für seinen Lieblingsverein. In diesem Jahr fand weder eine EM noch WM statt, so dass die Sommerpause der Bundesliga unendlich lang erschien und das erste Heimspiel sehnsüchtig erwartet wurde. Aber ach – just an diesem Tag waren wir auf einer Hochzeit geladen. Beim nächsten Spiel war mein Freund beruflich verhindert. Beim nächsten Spiel saßen wir im Flieger auf dem Weg in den Urlaub. Dann waren wir auf meiner Lieblingsinsel Menorca. Dort gibt es zwar viele Touristen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass man an jeder Ecke deutschen Fussball zeigen würde. Tat man auch nicht. Unter unserer Ferienwohnung war ein indisches Restaurant mit W-Lan, so dass mein Freund das nächste Spiel in der Wohnung verbrachte, um wenigstens der Radio-Reportage lauschen zu können. (Ich bin lieber an den Strand gefahren). So konnte es nicht weitergehen. Wir fragten in einer englischen Sportsbar. Fehlanzeige, nur ein Tipp für ein großes Lokal, wo es vielleicht laufen könnte. Leider Nein. Beim Inder unter uns lief immer Sport im großen Fernseher, also fragten wir dort. Obwohl der nette Inder meinem Freund alle Fernbedienungen gab, und er hunderte von Programmen durchsuchen durfte, war die ARD nicht zu empfangen. Unerklärlich! Wie enttäuschend! (Später haben wir herausgefunden, dass ARD über einen anderen Satelliten sendet). Am nächsten Morgen telefonierte ich einige größere Hotels ab. Beim ersten war die deutsche Rezeptionistin freundlich, hatte aber kein ARD. Sie verwies mich an ein anderes Hotel. Dort sprach man deutsch, hatte auch deutsches Fernsehen, war aber unfreundlich. Als mein Freund aufwachte, hatten wir immer noch keine Lösung.

Ein paar Tage zuvor waren wir in einer Strandbar bei einem deutschen Wirt gewesen, der nach eigenem Bekunden schon seit 35 Jahren auf der Insel lebte. Dort hatte ich eigentlich gleich fragen wollen, doch mein Freund meinte, Wirt Helmut hätte keine Ahnung von Fussball. Vor lauter Verzweiflung sind wir dann doch zu ihm gefahren. Auf die Frage, ob er jemanden wüsste, bei dem wir am Abend das Spiel sehen könnten, sagte er zunächst: „Vielleicht bei mir, ich muss nur eben meine Frau fragen.“ Zu früh gefreut. Der Receiver war kaputt. Dann aber kam der entscheidende Tipp: Der einzige, der vielleicht ARD haben könnte, sei der Werner. Der Wirt vom Thai-Restaurant im Nachbarort. Das kannten wir, also nichts wie hin. Wir kommen rein in den Laden und fragen nach Chef Werner. „Oh, tut mir leid“, sagt der Kellner. „Der Chef ist im Krankenhaus.“ Huch! Zum Glück wohl nichts Ernstes. Wir richten Grüße von Wirt Helmut aus und fragen nach dem Fernsehprogramm. Die Miene der Kellners erhellt sich, er gibt uns die Fernbedienung und meint, es wäre gut, dass sein Chef nicht da sei. Der sei nämlich FC Bayern Fan. Schon sitzen wir als einzige Gäste drinnen, direkt vor einem großen Fernseher, der von Buddas umrahmt wird. Das Spiel läuft schon beim ersten Knopfdruck. Wir bestellen ein leckeres Thai-Gericht und unser Verein gewinnt 7:2!

Am nächsten Abend gehen wir zum Inder, um die Geschichte zu erzählen. Der Inder ist ein wenig sauer, weil er eigentlich mit uns gerechnet hatte, nachdem mein Freund so lange an seinem Fernseher rumfummeln durfte. Wir kommen mit den Engländern am Nachbartisch ins Gespräch. Zuerst sagen sie: Ja, wenn ihr deutschen Fussball sehen wollt, warum macht ihr dann nicht Urlaub auf Mallorca? Das ist doch die Insel für deutsche Touristen. Nein? Dann sollten wir es mal in dem größeren Lokal versuchen, was uns schon in der englischen Sportsbar empfohlen worden war. Auch nicht? Ja, Fussball wäre schwierig auf Menorca. Er, der Engländer, müsse in seinem Haus auch immer alleine gucken, weil seine Freunde sich nur für Boote und Yachten interessierten. Aber da gäbe es einen verrückten Deutschen. Der wäre im letzten Jahr bei der WM mit voll beflaggtem Wagen über die Insel gefahren und hätte den WM-Sieg lautstark gefeiert. Hätte der nicht ein Thai-Restaurant? Wir sofort: Ja! Der Werner aus Binisafua! Lustigerweise ist dieses Lokal schon in meiner Kindheit das einzige gewesen, wo wir in den 80ern Sportereignisse, wie die WM oder Wimbledon, am Fernseher verfolgen konnten. Aber das sollte es noch nicht gewesen sein. Ein paar Tage später winkte schon das nächste Spiel. Dieses Mal wurde es sogar international gezeigt. Sehr gerne hätte mein Freund das Spiel unten beim Inder verfolgt. Aber das Restaurant hatte zur Spielzeit Mittagspause. Doch es gab eine Lösung! Mein Freund wurde einfach im Lokal eingesperrt, nachdem man ihm ein leckeres, indisches Essen serviert und gezeigt hatte, wie der Zapfhahn funktioniert. Das Spiel gewannen wir 3:1. Und mein Freund hat während des Spiels noch ein paar Reservierungen angenommen. Das Beste aber war: Auf die Frage nach der Rechnung sagte der Inder zu meinem Freund: „Du bist eingeladen.“

Mein Freund hat ihm jetzt als Dankeschön ein Trikot geschickt. Hoffentlich passt es.

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Einkaufen in Seoul

6) Am vierten Tag überwinden wir so langsam den Jetlag. Ausserdem ist es der Tag vor Chinese New Year in Korea auch Lunar New Year genannt. Mondfest. Wir hatten die Reise extra auf den Termin gelegt, weil mein Freund an diesem Tag wilde Partys und Feuerwerk an allen Ecken der Stadt erwartete. In Korea wird das Neue Jahr aber eher als ein ruhiges Familienfest begangen. Die meisten Geschäfte schliessen, viele verreisen über die Feiertage und in der Stadt werden die Bürgersteige hochgeklappt. Man besucht Verwandte und kocht was Schönes. Das machen wir natürlich auch und weil unser Neffe auch noch Geburtstag hat, hat er ein paar Freunde eingeladen. Der Geburtstag ist zwar erst am Samstag, aber in Asien feiert man gerne ein paar Tage vorher. Nachfeiern ist absolut verpönt. Wir müssen erstmal einkaufen gehen. Auf jeden Fall soll es ein paar typisch deutsche Partyspezialitäten geben. Wir planen Frikadellen, Obstsalat und eine Bowle. Im großen Discounter gibt es alles: Waschmaschinen, Kinderkleidung, Kosmetik, Lebensmittel. Der Laden ist gut sortiert, wir entdecken ein 5l Fässchen Krombacher Bier. Es kostet in etwa 4x so viel, wie zu Hause. Trotzdem ist es gar nicht so leicht, sich in einem koreanischen Supermarkt zurecht zu finden. Wir sind Analphabeten, was die Beschriftung der Produkte angeht. Die nette Nachbarin ist zum Glück mitgekommen und hilft uns. Schnell haben wir zwei Einkaufswagen voll. Damit wir nicht so schwer schleppen müssen, haben wir unseren Trolleykoffer dabei. Die Verkäuferinnen gucken komisch. Nach einer Probesitzung in der Fernseher-Abteilung mit 3D Brillen fahren wir mit dem Taxi zurück. Der Fahrer ist nicht begeistert, als er 4 Personen vollbepackt mit Einkäufen in sein Auto stopfen muss. Durch den Gastank im Kofferraum ist wenig Platz. Aber es geht. Ein Schauspiel für die Wartenden an der Bushaltestelle.

Und am Abend machen wir den Gangnam-Style…

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In front of them all

5) Ein Ausflug zur Inner-Koreanischen Grenze ist nur etwas für Früh-Aufsteher.Nur möglich im Rahmen einer geführten Tour nach Voranmeldung. Treffpunkt ist morgens um 7:00 im Hotel Lotte, einem kitschigen Luxus-5 Sterne Palast des allgegenwärtigen Lotte Konzerns. Weil wir früh dran sind, trinken wir noch einen überteuerten Kaffee in der plüschigen Lobby, bevor wir mit ca. 20 anderen müden Gestalten einen altmodischen Reisebus besteigen. Der Bus ist ganz in lila-goldenem Brokat ausgeschlagen: Schonbezüge auf den Sitzen, lila-goldene Vorhänge und auch das Armaturenbrett ist mit Deckchen verziert. Es wirkt sehr fernöstlich. Auf der etwa einstündigen Fahrt im Morgengrauen werden wir von der Reiseleitung eingestielt, was es in der DMZ (demilitarized Zone) zu tun und zu lassen gilt: Immer schön in der Gruppe bleiben, nicht die vorgeschriebenen Wege verlassen, nur die vorgegebenen Objekte fotografieren, nicht mit dem nackten Finger auf irgendetwas zeigen, nicht mit den Armen fuchteln, keine Grimassen ziehen und auf keinen Fall den „Gangnam Style“ tanzen. Das hätte mal ein Teilnehmer versucht und wäre gleich in Handschellen abgeführt worden. Es könnte aber auch schnell mal scharf geschossen werden. Wie albern und wie erst das ist, sehen wir später vor Ort. Wir werden von einem amerikanischen GI in Empfang genommen, der uns zunächst einen propagandistisch gefärbten Diavortrag über die Grenze zeigt. Dann werden wir ein wenig über das Gelände geführt, bis wir auf der Terasse des „Besucherzentrums“ dem „Feind“ ins Auge blicken dürfen. Gegenüber steht ein großer, protziger Klotz. Das Nordkoreanische Besucherzentrum. Als der Süden ein schickes, neues und vor allem großes Gebäude hochgezogen hatte, wollte der Norden sich nicht lumpen lassen. Sie haben ihr kleineres Gebäude abgerissen, um dort noch größer und vor allem höher zu bauen, als die Nachbarn. Zwischen beiden Gebäuden liegt die Demarkationslinie und drei blaue Baracken. Alles ist strengstens bewacht. Die Soldaten müssen den ganzen Tag in Kampfhaltung auf dem Posten sein und exakt zur Hälfte hinter der Baracke stehen, damit sie schnell in Deckung springen können, falls geschossen wird. Unser GI erzählt, dass der Soldat vor dem Nordkoreanischen Besucherzentrum seit über 5 Jahren dort zu sehen ist. Jeden Tag stillgestanden und Augen geradeaus Richtung Südkorea. Wir dürfen eine der Baracken betreten, in der politische Treffen und Verhandlungen stattfinden. Sie steht exakt mittig auf der Grenze und im Innern können wir auf die nordkoreanische Seite gehen. Zwei finstere südkoreanische Soldaten bewachen das Interieur und stehen als Fotomotiv zur Verfügung. Einige Besucher stellen sich wirklich für ein Foto daneben. Als unser GI uns wieder zurück nach Südkorea führt, bin ich erleichtert. Im Besucherzentrum wartet noch eine kleine Ausstellung über etliche kriegerische Zwischenfälle an der Grenze und ein Souvenirshop. Der GI kauft sich zur Belohnung für die gelungene Führung ein dickes Eis. Ich kann nicht widerstehen und nehme auch eins. Die restlichen Andenken, wie z.B. Mini-Maschinengewehre als Schlüsselanhänger oder Kinderkleidchen im Army-Style finde ich recht geschmacklos.

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Nach dieser Grenzerfahrung geht es weiter mit dem Bus durch die Sperrzone. Ein Paradies für Vögel und Pflanzen. Wir sehen die Fahnenmasten in den beiden Dörfern nahe der Grenze, genannt Freedom Village und Propaganda Village. Von dort wurde eine Zeitlang über Lautsprecher der Süden mit Propaganda beschallt. Auf der Gegenseite hisste man dafür die Flagge des Südens in luftiger Höhe. Das konnte der große Führer im Norden nicht lange auf sich sitzen lassen, und rüstete seinen Fahnenmast auf. Er ist jetzt höher, als die Aussichtsplattform auf dem Dortmunder Fernsehturm. Die Fahne ist 270kg schwer und 30 Meter lang. Weil so weit oben der Wind etwas schärfer weht, muss die Fahne alle Nase lang erneuert werden. Das kostet und braucht einen Haufen starke Fahnenträger. Die Fahne weht nur selten, wegen der monströsen Ausmaße. Aber als wir in Sichtweite kommen, flattert das gute Stück im Wind wie gemalt. Fotografieren ist natürlich verboten.

Dann steuern wir einen weiteren bedeutsamen Punkt an der Grenze an. Die „Bridge of Freedom“. Das Gelände liegt an einem Fluss und besteht aus einem modernen Gebäude mit Aussichtsplattform, einem Rummelplatz im Winterschlaf, ein paar Skulpturen und der stillgelegten Dampflok „Train of Freedom“. Es gibt ein Restaurant und Souvenirshops. So richtig verstehen wir die Sache nicht. Es wurde im Rahmen der „Sunshine Policy“ zu Beginn der 00er Jahre errichtet, als man eine Annäherung an Nordkorea auf wirtschaftlicher Ebene angestrebt hat. Vor unserem geistigen Auge sehen wir Züge voller Nordkoreaner auf dem Rummel in der Pampa ankommen, die angesichts der Preise und der langweiligen Umgebung schnell wieder nach Hause wollen. Das wollen wir langsam auch und steigen in den plüschigen Bus zurück nach Seoul.

 

Electric Wonderland

4) Der erste echte Urlaubstag in Seoul führte uns in ein Elektronik-Wunderland am anderen Ende der Stadt. Vielleicht war es gar nicht so weit, aber wir mussten mit der supermodernen U-Bahn fahren. Der Bahnhof lag unter einer großen Straßenkreuzung vor unserem Haus. Wie am Münchener Stachus befand sich dort eine unterirdische Ladenpassage. Es gab unzählige kleine Läden, die gebrauchte Bücher, Schallplatten, Bilder, Schuhe oder Wolle und Kurzwaren verkauften. Am liebsten hätte ich dort schon einen ganzen Tag verbracht. Ganz erstaunlich fand ich eine lange Reihe Kartons mit der deutschen Aufschrift „Büchersendung“ vor einem Antiquariat. Mitten in Seoul. Oder ein Kunstwerk in Gestalt einer Bronzestatue dekoriert vor einem kleinen Laden. Es war eine nackte Frauengestalt mit wallendem Haar und spitzen Brüsten, die mit gespreizten Beinen über einer Toilettenschüssel hockte. In Bronze! So etwas interessierte meine Männer alles nicht und wir eilten weiter. Seoul ist eine riesige Stadt, die wächst und wächst. Überall entstehen neue Wolkenkratzer und mehrspurige Strassen. Wirtschaftswunderzeit in Südostasien. Wir verlassen die U-Bahn und landen in einer Baustelle. Ein Sumpf wird trocken gelegt für neue Hochhäuser. Eine Röhre auf Stelzen führt uns über das Gelände und wir sind am Ziel. Das Elektro-Land ist nicht wie bei uns ein großes Geschäft wie z.B. Saturn oder Media-Markt, sondern eine Ansammlung von kleinen Marktständen in einer großen Halle. Ein jeder bietet anderes feil. Beliebt sind Massagesessel und Massagegeräte für einzelne Körperteile, z.B. elektrische Manschetten für die Waden oder futuristische Masken für die Augenpartie. An jeder Ecke gibt es Dampfgarer und Reiskocher, die aussehen, wie kleine Raumschiffe, dekoriert mit Speisen aus Plastik. Toilettensitze mit Heizung und Bidet-Funktion dürfen nicht fehlen und natürlich die modernsten Unterhaltungs-Medien, die man sich vorstellen kann. Wir suchen ein Tablet für Jan. Im ersten Kaufhaus finden wir nicht das richtige und wechseln das Gebäude. Auch draussen viele kleine Läden, die Baumarkt-Artikel aller Art verkaufen und im nächsten Hochhaus noch mehr Elektronik. Zubehörteile für Bastler, alte Radios, Plattenspieler und je weiter wir nach oben fahren, desto größer werden die Fernseher. Hier schlagen wir zu und feilschen erfolgreich mit dem Händler.

Am Abend hat Jan eine Überraschung für uns vorbereitet. Wir gehen essen in ein typisch Koreanisches Grillrestaurant und lernen Jans Freunde kennen. In dem kleinen Lokal ist in jeden Tisch eine Feuerstelle eingelassen und ein Rauchabzug lässt sich über den Tisch hinab ziehen. Man bestellt rohes Fleisch von der Karte und bekommt dazu diverse „Pickles“. Immer dabei ist Kimchi, eine Art scharfer Krautsalat. Dann wird am Tisch gegrillt. Jans Freunde sind sehr nett und sehr international. Auf den ersten Blick fast alles Koreaner, doch das täuscht. Viele haben ein Elternteil aus Asien, sind aber in Deutschland aufgewachsen und sprechen mit überraschend fränkischem, rheinischen oder Hamburger Akzent. Die meisten sind Arbeitskollegen oder spielen mit Jan im FC-Doghil, einer Mannschaft aus lauter Deutschen. Das Lokal befindet sich in Itaewon, was sich durch die amerikanischen Soldaten zum Ausgehviertel entwickelt hat. Nach dem geselligen Essen gehen wir noch in ein Pub und trinken Cocktails. Die anwesenden US-Soldaten werden gegen Mitternacht von einer Patrouille eingesammelt und unsere Gruppe muss auch langsam ins Bett.

Am nächsten Tag müssen wir nämlich schon sehr früh aufstehen, weil wir uns für eine Tour zur Grenze nach Nordkorea angemeldet haben. Da müssen wir pünktlich sein…
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Der erste Tag am anderen Ende der Welt

3) Nachdem unser Neffe uns am HBF in Empfang genommen hatte, ging es mit dem Taxi zu seiner Wohnung im „Lotte Castle“, einem Wohnschloss zu Füßen von Seouls Hausberg Namsan. Jan gibt dem Taxifahrer perfekte Anweisungen auf Koreanisch. Trotzdem kommt es zu einem wortreichen Missverständnis, als wir nicht zum Luxuskaufhaus Shinsegae zur linken, sondern zu den 4 gläsernen Wohntürmen zur rechten abbiegen wollen. Wir betreten das Gebäude durch einen unscheinbaren Hintereingang. Jan hat natürlich die Eintrittskarte und Zahlencodes parat, um die Tür zu überwinden. Im goldgeschmückten Aufzug beeindrucken uns die unzähligen Knöpfe für die 26 Stockwerke. Wir fahren in bis zur 17. Die Wohnungstür sieht aus wie ein Panzerschrank und begrüßt uns mit einem leuchtenden Display auf Koreanisch. Die Wohnung ist sehr groß, hell und modern. Zum Glück steht kein anderes Hochhaus vor dem Fenster, so dass wir eine schöne Aussicht auf Jans Bürogebäude und die Stadt zu unseren Füßen haben. Leider ist es recht dunstig und die Sicht reicht nicht allzu weit. Wir stellen schnell die Koffer ab und Jan erklärt uns die Toilette. Ein Wunderwerk der Technik! Es gibt fast so viele Knöpfe, wie im Aufzug. Mit einem könne man sogar bis zum Mond fliegen, scherzt Jan. Zum Glück ist alles zusätzlich auf Englisch beschriftet. Außerdem gibt es in jedem Zimmer eine Gegensprech-Anlage für die Klingel und im Wohnzimmer sogar einen kleinen Bildschirm. Dort kann man sehen, wer zu Besuch kommt und Heizung und Klima-Anlage steuern. Jetzt wollen wir aber erstmal raus und uns die Beine in der Stadt vertreten. Wir beginnen am Deoksugung Palast neben dem Rathaus und laufen von dort ins Insadong-Viertel, wo wir scharfe Spießchen essen und in einem der unzähligen Cafés einkehren. Das Wetter ist so mild, dass wir draussen sitzen können. Insadong besteht aus vielen kleinen Häusern, die auf einem steilen Hügel ineinander geschachtelt sind. Viele sind traditionell gebaut, mit Pagodendach und Innenhof. Das können wir sehen, als wir eine private Aussichts-Terasse ganz oben auf dem Hügel betreten. Für einen kleinen Obulus serviert eine uralte Omi Jasmintee und man kann es sich auf Plastikstühlen bequem machen, um die Aussicht zu genießen. Sonnenuntergang über den Dächern von Seoul! Jan ruft eine Freundin an, ob sie mit uns Abendessen gehen will. Wir laufen den ganze Hügel wieder hinunter, vorbei ein etlichen kleinen Lädchen mit Kunsthandwerk und Souvenirs. Das Menschengewusel wird immer dichter, die Straßen immer breiter und Jan führt uns in ein typisch koreanisches Lokal. Typisch ist, dass der Kellner erst kommt, wenn man auf den Klingelknopf drückt, der sich auf allen Tischen befindet. Typisch ist auch, dass das Essen für alle in die Mitte gestellt wird und jeder kann sich davon nehmen nach Belieben. Dazu gibt es viele kleine Beilagen, vor allem eingelegten Kohl, Rettich und Sprossen und natürlich Reis. Gegessen wird mit Stäbchen und Löffel, für Fleisch und größere Teile bekommt man eine Schere auf den Tisch. Wir bestellen einen Pfannkuchen mit Lauch und diverse Kleinigkeiten. Dann erscheint eine junge Asiatin. Es ist aber nicht die Kellnerin, sondern Jans Freundin. Sie spricht fließend Deutsch mit stark fränkischem Akzent, denn sie kommt aus Nürnberg. Nach dem Essen muß ich mal zur Toilette. Oh je. In Deutschland war ich gewarnt worden, das sei in Asien ein Problem. In der Tat erwartet mich ein beheizter High-Tech Toilettensitz mit vielen Knöpfen. Als ich fertig bin, suche ich die Spülung. Alles voller Schriftzeichen und Symbole, welches mag wohl die Spülung sein? Ich entscheide mich für ein vielversprechendes Knöpfchen und warte gespannt. Es summt. Dann fährt in der Kloschüssel ein Arm aus. Ein Wasserstrahl sprudelt wie ein Springbrunnen aus der Toilette und überschwemmt den ganzen Raum. Bidet-Funktion! Ich kann gerade noch zur Seite springen, bevor ich nass werde. Es hört nicht auf. Das Wasser sprudelt und sprudelt. Ich schliesse den Deckel. Es sprudelt weiter. DA! Endecke ich die Spülung, ein ganz normaler Hebel am Wasserkasten. Endlich hört die Bidet-Dusche auf. Alles ist nass. Am Waschbecken steht zum Glück ein Eimer mit Wischer. Vermutlich passiert das auch anderen Gästen. Ich bringe die Toilette ein wenig in Ordnung.

Dann sind wie alle erschöpft und gehen schlafen.

Ankunft in Seoul

2)
Die Fahrt zum Flughafen verlief ohne Probleme.
Natürlich hatte unser Zug in Köln 10min Verspätung, so dass wir den Anschlußzug verpasst haben.
Eine halbe Stunde saßen wir mit unseren Koffern zwischen den verkleideten Jecken am Karnevalssamstag auf dem Bahnsteig.
Gerne wäre ich dageblieben. Doch schon saß ich im Flieger. Zum Glück war es ein Nachtflug
und die Zeit ging ganz passabel um. Was man so passabel nennt,
wenn man Halsschmerzen bekommt und nur alle hundert Jahre eine Stewardess mit ein paar Tropfen Wasser vorbeikommt.
Nach 10 Stunden Flug kamen wir Mittags in Seoul an.
Der Flughafen war sehr futuristisch und wirkte nagelneu.
In der lichtdurchfluteten Halle mit den Bahnschaltern befand sich eine Rollschuhbahn unter künstlichen Glitzerbäumen.
Aber wie bei uns hatte nur ein Schalter geöffnet, wo man die Bahnfahrkarten kaufen konnte,
und die Automaten nahmen keine Kreditkarten an. Gerade noch rechtzeitig kamen wir an die Reihe
um noch den Expresszug in die Stadt zu erwischen. Auch die Bahn war sehr modern.
Die Gleise waren vom Bahnsteig mit einer Glaswand abgetrennt, in der sich Schiebetüren zum Einsteigen befanden.
Das war übrigens auch an allen U-Bahn Stationen so. Dadurch kann niemand auf die Gleise fallen oder Müll runterwerfen
und es ist auch nicht so zugig. Und man weiß schon vorher, wo der Zug halten wird und muss nicht hektisch über den Bahnsteig stolpern.
Klimatisiert sind die Bahnsteige auch noch, weil es im Sommer dort sehr heiß wird.
Ich war beeindruckt! Und alle so höflich. Die Schaffnerin hat sich nach der Fahrkartenkontrolle sogar verbeugt!
Auch Seoul-Hauptbahnhof wirkte sehr modern, sauber und hell.
Nicht so wie bei uns die alten maroden Bahnhöfe, wo an jeder Ecke Penner, Bettler und Junkies herumlungern
und dich ständig belästigen. Auch in der Stadt ist mir kein einziger Bettler aufgefallen,
was man von unseren Fußgängerzonen leider nicht behaupten kann.
Am Bahnhof wurden wir von unserem Neffen Jan abgeholt. Er kam gerade vom Fußball
und erwartete uns mit Borussenschal und großer Sporttasche. Fast wie zu Hause.
Als erstes zeigte er uns das Firmengebäude. Ein großer roter Klotz nicht weit vom Bahnhof.
Dann fuhren wir mit dem Taxi zu Jans Wohnung. Jan konnte dem Taxifahrer die Adresse schon perfekt auf koreanisch ansagen.
Und wie es bei Jan aussah, erzähle ich beim nächsten Mal.

Einmal um die ganze Welt

oder meine erste Asien-Reise
1.)
Ich bin kein Mensch mit Fernweh und kein Freund von langen Flügen. Doch der Mann an meiner Seite hat Hummeln im Hintern. Kein Ziel ist ihm zu weit, kein Flug zu lang. So kommt es, dass wir öfter getrennt Urlaub machen. Aber in diesem Jahr hatte sein Reisegefährte andere Pläne und im Sommer ist diesmal auch kein großes Fußballturnier. Vokke unterbreitete mir einen verrückten Urlaubsplan nach dem anderen. Unser Neffe Jan war meine rettende Idee. Seit ein paar Monaten lebt und arbeitet er in Korea. Die Firma hat ihm in Seoul ein großes Appartement in einem riesigen Hochhaus gestellt und an Weihnachten hatte er uns eingeladen. So eine Gelegenheit packe ich natürlich beim Schopf! Als Termin hatten wir die Karnevalswoche ausgesucht (leider), denn darauf fiel sowohl Chinese New Year, als auch Jans Geburtstag. Wir buchten einen Direktflug ab Frankfurt, so dass Vokke Freitags noch ins Stadion gehen konnte und ich zum Karneval. Am nächsten Tag ging es dann ganz entspannt zum Flughafen. Und wie es weiterging, erzähle ich Euch im nächsten Teil.