Mein Freund ist ein großer Fussballfan. Er hat sogar eine Dauerkarte für seinen Lieblingsverein. In diesem Jahr fand weder eine EM noch WM statt, so dass die Sommerpause der Bundesliga unendlich lang erschien und das erste Heimspiel sehnsüchtig erwartet wurde. Aber ach – just an diesem Tag waren wir auf einer Hochzeit geladen. Beim nächsten Spiel war mein Freund beruflich verhindert. Beim nächsten Spiel saßen wir im Flieger auf dem Weg in den Urlaub. Dann waren wir auf meiner Lieblingsinsel Menorca. Dort gibt es zwar viele Touristen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass man an jeder Ecke deutschen Fussball zeigen würde. Tat man auch nicht. Unter unserer Ferienwohnung war ein indisches Restaurant mit W-Lan, so dass mein Freund das nächste Spiel in der Wohnung verbrachte, um wenigstens der Radio-Reportage lauschen zu können. (Ich bin lieber an den Strand gefahren). So konnte es nicht weitergehen. Wir fragten in einer englischen Sportsbar. Fehlanzeige, nur ein Tipp für ein großes Lokal, wo es vielleicht laufen könnte. Leider Nein. Beim Inder unter uns lief immer Sport im großen Fernseher, also fragten wir dort. Obwohl der nette Inder meinem Freund alle Fernbedienungen gab, und er hunderte von Programmen durchsuchen durfte, war die ARD nicht zu empfangen. Unerklärlich! Wie enttäuschend! (Später haben wir herausgefunden, dass ARD über einen anderen Satelliten sendet). Am nächsten Morgen telefonierte ich einige größere Hotels ab. Beim ersten war die deutsche Rezeptionistin freundlich, hatte aber kein ARD. Sie verwies mich an ein anderes Hotel. Dort sprach man deutsch, hatte auch deutsches Fernsehen, war aber unfreundlich. Als mein Freund aufwachte, hatten wir immer noch keine Lösung.
Ein paar Tage zuvor waren wir in einer Strandbar bei einem deutschen Wirt gewesen, der nach eigenem Bekunden schon seit 35 Jahren auf der Insel lebte. Dort hatte ich eigentlich gleich fragen wollen, doch mein Freund meinte, Wirt Helmut hätte keine Ahnung von Fussball. Vor lauter Verzweiflung sind wir dann doch zu ihm gefahren. Auf die Frage, ob er jemanden wüsste, bei dem wir am Abend das Spiel sehen könnten, sagte er zunächst: „Vielleicht bei mir, ich muss nur eben meine Frau fragen.“ Zu früh gefreut. Der Receiver war kaputt. Dann aber kam der entscheidende Tipp: Der einzige, der vielleicht ARD haben könnte, sei der Werner. Der Wirt vom Thai-Restaurant im Nachbarort. Das kannten wir, also nichts wie hin. Wir kommen rein in den Laden und fragen nach Chef Werner. „Oh, tut mir leid“, sagt der Kellner. „Der Chef ist im Krankenhaus.“ Huch! Zum Glück wohl nichts Ernstes. Wir richten Grüße von Wirt Helmut aus und fragen nach dem Fernsehprogramm. Die Miene der Kellners erhellt sich, er gibt uns die Fernbedienung und meint, es wäre gut, dass sein Chef nicht da sei. Der sei nämlich FC Bayern Fan. Schon sitzen wir als einzige Gäste drinnen, direkt vor einem großen Fernseher, der von Buddas umrahmt wird. Das Spiel läuft schon beim ersten Knopfdruck. Wir bestellen ein leckeres Thai-Gericht und unser Verein gewinnt 7:2!
Am nächsten Abend gehen wir zum Inder, um die Geschichte zu erzählen. Der Inder ist ein wenig sauer, weil er eigentlich mit uns gerechnet hatte, nachdem mein Freund so lange an seinem Fernseher rumfummeln durfte. Wir kommen mit den Engländern am Nachbartisch ins Gespräch. Zuerst sagen sie: Ja, wenn ihr deutschen Fussball sehen wollt, warum macht ihr dann nicht Urlaub auf Mallorca? Das ist doch die Insel für deutsche Touristen. Nein? Dann sollten wir es mal in dem größeren Lokal versuchen, was uns schon in der englischen Sportsbar empfohlen worden war. Auch nicht? Ja, Fussball wäre schwierig auf Menorca. Er, der Engländer, müsse in seinem Haus auch immer alleine gucken, weil seine Freunde sich nur für Boote und Yachten interessierten. Aber da gäbe es einen verrückten Deutschen. Der wäre im letzten Jahr bei der WM mit voll beflaggtem Wagen über die Insel gefahren und hätte den WM-Sieg lautstark gefeiert. Hätte der nicht ein Thai-Restaurant? Wir sofort: Ja! Der Werner aus Binisafua! Lustigerweise ist dieses Lokal schon in meiner Kindheit das einzige gewesen, wo wir in den 80ern Sportereignisse, wie die WM oder Wimbledon, am Fernseher verfolgen konnten. Aber das sollte es noch nicht gewesen sein. Ein paar Tage später winkte schon das nächste Spiel. Dieses Mal wurde es sogar international gezeigt. Sehr gerne hätte mein Freund das Spiel unten beim Inder verfolgt. Aber das Restaurant hatte zur Spielzeit Mittagspause. Doch es gab eine Lösung! Mein Freund wurde einfach im Lokal eingesperrt, nachdem man ihm ein leckeres, indisches Essen serviert und gezeigt hatte, wie der Zapfhahn funktioniert. Das Spiel gewannen wir 3:1. Und mein Freund hat während des Spiels noch ein paar Reservierungen angenommen. Das Beste aber war: Auf die Frage nach der Rechnung sagte der Inder zu meinem Freund: „Du bist eingeladen.“
Mein Freund hat ihm jetzt als Dankeschön ein Trikot geschickt. Hoffentlich passt es.